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28. April

Tag der Befreiung Neuköllns 2022

Thank you! Merci! Спасибо! – 28. April: Tag der Befreiung Neuköllns

Dieses Jahr fällt auch der seit dem gestrigen Abend begangene Feiertag JomHaShoah auf den 28. April, der gleichsam der Tag der Befreiung Neuköllns durch die Rote Armee ist. Vollständer Name des israelischen Gedenktages ist »Jom haZikaron laScho’a weLaGwura« (יום הזיכרון לשואה ולגבורה): Tag des Gedenkens an Shoah und Heldentum. Ursprünglich wurde der 19. April (14. Nisan im jüdischen Kalender) als Gedenktag bestimmt, was den Beginn des Aufstands im Warschauer Ghetto 1943 markierte. Da dieser Tag kurz vor Pessach ist, einigte sich die Knesset 1951 auf den 27. Nisan.
Damit thematisiert dieser Gedenktag nicht ausschließlich die flächendeckende Massenermordung des europäischen Judentums, sondern betont auch den Widerstand der als jüdisch Verfolgten.

Die Vielfältigkeit des jüdischen Widerstands wird dagegen im deutschen Gedenkdiskurs nicht beachtet. Im Gegenteil wird der appellierende Kampfspruch Abba Kovners (»Lasst uns nicht wie Schafe zur Schlachtbank gehen«) fehlinterpretiert. In der Fehlinterpretation festigte sich der Glaube an die jüdische Passivität während der Shoah und des Nationalsozialismus. Die Passivitätsbeschuldigungen gehen zumeist einher mit antisemitischen Schuldvorwürfen, die nahelegen, »der Jude« sei an der eigenen Vernichtung schuld beziehungsweise zumindest mitschuldig. Diese Erzählung ist jedoch a-historisch und entlarvt das deutsche Bedürfnis andere Schuldige für die nahezu Auslöschung des europäischen Judentums zu finden.

Denn das Gegenteil ist der Fall: Jüdischer Widerstand gegen den Nationalsozialismus war ein wichtiges Element im Kampf gegen diesen. Die zahlreichen Aufstände, die unter widrigsten Bedingungen organisiert wurden, wie in den Vernichtungslagern Sobibor, Treblinka, Auschwitz-Birkenau und in zahlreichen Ghettos und ebenso einer der bekanntesten im Warschauer Ghetto, sind in ihrer Wirkung auf andere als jüdisch Verfolgte nicht zu unterschätzen. Aber auch in zahlreichen Armeen und organisierten Partisan_innengruppen kämpften Juden_Jüdinnen gegen die Verbrechen des Nationalsozialismus und für die Befreiung der verfolgten Menschen, wie etwa in US-amerikanischen, der Roten Armee oder der französischen Résistance. Zahlreiche Juden_Jüdinnen befreiten als Soldat_innen der Rote Armee am 28. April 1945 auch den Berliner Stadtteil Neukölln.
Bereits am 24. April 1945 überschritten die ersten Einheiten der Roten Armee die Südgrenze Neuköllns. In den folgenden Tagen gelang es den sowjetischen Truppen gegen die deutschen Streitkräfte vorzurücken. Die letzte Gegenwehr von deutschen Verbänden in Neukölln konnte am 28. April 1945 gebrochen werden.

Obwohl die meisten Neuköllner_innen ebenfalls Teil der NS-Gesellschaft waren, gab es in dem Bezirk einen besonders lebendigen antifaschistischen Widerstand, der maßgeblich von Frauen bestimmt wurde. Wehrkraftzersetzung, Arbeitsvertragsbruch, Hilfe für Verfolgte sind dabei nur einige Beispiele.

Der Sieg der Alliierten bedeutete das Ende der nationalsozialistischen Herrschaft in Neukölln und überall und die Befreiung für etliche west- und osteuropäische Zwangsarbeiter_innen, als jüdisch Verfolgte, Sinti_zze und Rom_nja, jüdische und nicht-jüdische Widerstandskämpfer_innen im Rettungswiderstand und verschiedener sozialdemokratischer, kommunistischer und liberaler Gruppen.

Den 28. April nehmen wir jährlich zum Anlass, um an die Befreiung Neuköllns durch die Rote Armee zu erinnern und dabei nicht zu vergessen, dass Antisemitismus, Rassismus und Neonazismus Teil des bundesdeutschen Alltags sind, ob auf der Straße, in den Parlamenten oder den sogenannten Sicherheitsbehörden. Auch dieses Jahr möchten wir dabei auf weitere Orte der Kontinuität in Neukölln aufmerksam machen und unsere Karte zu „Orten der Befreiung“ im Bezirk ergänzen.

Der Sieg über die Deutschen bedeutete nicht weniger als die Befreiung der Menschen vom Nationalsozialismus! Unser Dank heißt Krieg den deutschen Zuständen!